Montag, 2. Dezember 2013

Die Welt ist interessant genug

An die Debatte um die Relevanz von Spielzeug schließt sich die Frage nach der Notwendigkeit von Lehrmaterialien an. Wieviel "vorbereitete Umgebung" und didaktisch durchdachtes Material brauchen Kinder um lernen zu können? Ich behaupte: Es bedarf nichts dergleichen, denn das Leben ist interessant genug!

Das tägliche Umfeld außerhalb der Schule sollte für Kinder mehr als genug Interessantes zum Entdecken, Lernen, um daran zu wachsen und um sich zu behaupten bereithalten. Übermäßige Restriktionen machen ein solches Lernen durch Erfahren jedoch unmöglich.
Der Neurobiologe Gerald Hüther formulierte es sinngemäß so: Wir Erwachsenen hätten nicht die Aufgabe, unseren Kindern die Welt zu erklären und zu zeigen, sondern sie im selbstmotivierten Entdecken der Welt zu bestärken und sie dabei vor Gefahren zu schützen, die sie selbst noch nicht abwägen könnten. Zu diesen Gefahren zähle ich zum Beispiel den Medien- und Güterkonsum, aber auch maßlose und ungesunde Ernährung. 

An welchen Aufgaben können unsere Kinder heutzutage denn noch wachsen? Einmal am Tag den Müll runterzutragen gehört sicher nicht dazu, bzw. genügen solche pflichtgeprägten Tätigkeiten allein bei weitem nicht. Aber wo finden wir denn noch Orte und Gemeinschaften, die interessant, vielfältig, zugänglich und nutzbar für Kinder und Jugendliche sind? Wo finden noch echte Begegnungen und befruchtender Austausch von Kompetenzen ohne den Hintergedanken des Geldverdienens statt? Wer nicht frei über finanzielle Mittel verfügen kann, wie es bei Kindern und Jugendlichen normalerweise der Fall ist, kann an den "Angeboten" unserer Gesellschaft nur sehr begrenzt teilnehmen. Sogar Bibliotheken verlangen meist eine Mitgliedsgebühr.

In viel zu vielen Schulen wird es immernoch unhinterfragt als notwendig erachtet, wenn Kinder und Jugendliche, von der restlichen Gesellschaft abgeschottet, Dinge "lernen", die keinerlei Bezug zu ihrer momentanen Lebenswirklichkeit haben, die sofort nach der jeweiligen Prüfung vergessen werden und die dadurch auch wenig Nutzen für den Aufbau eines reichen Erfahrungsschatzes haben können. 
Ist das Befassen mit solchen vorgefertigten Lerninhalten nicht reine Zeitverschwendung und dient es nicht vielleicht sogar nur als Beschäftigungstherapie für eine Bevölkerungsgruppe, die daran gehindert werden soll, freie Gedanken zu entfalten, damit sie auf dem Arbeitsmarkt "funktioniert"?

Was wäre, wenn Kinder von klein auf selbst entscheiden dürften, wohin sie ihre Aufmerksamkeit richteten? Würden sie tatenlos und zurückgezogen in einer Ecke sitzen, darauf wartend, dass jemand kommen möge, der sie aus ihrem Elend befreit? Wenn Schule keine Beschäftigungstherapie zum Zwecke der Ablenkung ist, dann wird Kindern dennoch durch die Entwicklung von Lehrmaterialien und durch das Konstruieren von Lehrplänen so ein für den wissbegierigen und sich ständig weiterentwickeln wollenden Menschen unnatürliches Verhalten unterstellt! 

Daher bleibt mir keine andere Schlussfolgerung als die, dass Schulen, in denen Wissen fremdgesteuert vermittelt wird, respektlose Konstrukte unserer industrialisierten, auf wirtschaftliches Wachstum ausgerichteten Gesellschaft sind, in der die Bedürfnisse der Schwächeren nicht geachtet werden und Geld und in der Macht über Menschlichkeit und Mitgefühl stehen. 

Wie würde wohl unser Land aussehen, wenn es von jungen und alten Menschen gestaltet werden könnte, die in ihm durch freies Entdecken, in regem Kontakt mit der individuellen Kompetenzenvielfalt ihrer Mitmenschen aufgewachsen wären?