Dienstag, 22. Oktober 2013

Meine Geschichte


Im folgenden Artikel erzähle ich zunächst von meinem Lebensweg nach der Schulzeit. Er soll exemplarisch aufzeigen, dass auch für eine scheinbar angepasste Schülerin mit guten Noten der Abiturabschluss kein Garant für eine erfolgreiche oder stringente berufliche Karriere ist und dass eine Schulausbildung die Persönlichkeitsentwicklung sogar erheblich hemmen kann.
Wie ich erst später durch die Erfahrungen mit meinem eigenen Kind zu der Erkenntnis kam, dass ich durch das fremdbestimmte Lernen in der Schulzeit keine Möglichkeit hatte, bis zum Abitur eine berufliche Tätigkeit zu favorisieren und warum diese Einsicht für mich den Knackpunkt für eine veränderte Sichtweise auf das Lernen darstellte, davon will ich hier berichten.


Von oben aufdiktierte Wissensvermittlung bestimmte mein Lernen vom Schulanfang 1991 im sechsten bis zum Abitur 2003 im 18. Lebensjahr. Ich war eine Einser-Kandidatin. Ich hatte verstanden, wie ich zu guten Noten kommen konnte. Mit einem top Abitur in der Tasche war es für mich jedoch unmöglich, aus mir selbst heraus meinen wirklichen Interessen entsprechend zu entscheiden, wie ich mich beruflich entwickeln wollte. Die Möglichkeiten schienen mir unendlich groß und mich interessierte einfach alles, was das wahre Leben außerhalb der Schule zu bieten hatte.

Mein erster und stärkster Impuls nach dem Schulabschluss war, eine Tätigkeit ganz frei von Lernzwängen weit weg von zu Hause aufzunehmen. Im Au-Pair-Jahr fand ich Zeit, mich ganz ungestört und ungelenkt auf neue Menschen und Interessen einzulassen. Doch schon bald musste eine Entscheidung gefällt werden. Es war klar, dass ich studieren würde. Ich stellte meinen durch den Abiturabschluss vorbestimmten Weg nicht in Frage. So schrieb ich mich für ein Lehramtsstudium in Potsdam ein.
Die Au-Pair-Arbeit mit all den Eindrücken und Erlebnissen im Ausland wurden von mir damit zum einmaligen Abenteuer degradiert, das mich vom erreichen meines eigentlichen Ziels, nämlich das Studium möglichst bald abzuschließen um Lehrerin zu werden, fern hielt. Somit war die verbleibende Zeit nicht von weiteren bereichernden Erfahrungen, sondern von Langeweile und das Warten auf die Rückkehr geprägt. 

Das Studium war nach der Schulzeit eine neue Phase fremdbestimmter Wissensvermittlung. Auswendiglernen und unkritisches Übernehmen von vorgefertigtem Wissen bestimmten meine Studienzeit und ich versuchte, den Ansprüchen der Professoren so gute es ging gerecht zu werden, weil ich es nicht anders kannte. So gehörte ich zum guten Leistungsdurchschnitt der Studenten. 
Doch wieder stellte sich der Wunsch nach Veränderung ein und ließ mich ein zweites Mal ins Ausland flüchten, diesmal unter dem Deckmantel eines Erasmus-Auslandssemesters. Dies bot mir noch mehr Möglichkeiten neue Bekanntschaften zu knüpfen und eigenen Interessen nachzugehen. Auch in diesem Auslandsaufenthalt holte ich zunächst all das nach, was ich zu Hause vermisste, tat einfach nur das, was ich wollte und stürzte anschließend in ein Loch der Langeweile und des Absitzens der Zeit bis zur unweigerlichen Rückkehr ins für mich selbst gewählte, weitgehend fremdbestimmte Studentenleben.

Durch die Erfahrungen im Ausland, den Duft der Freiheit und den dadurch wachsenden Zweifeln an der richtigen Wahl meiner Lehramtsausbildung war ich endlich gezwungen, über meine wahren Interessen nachzudenken. Als ich feststellen musste, dass ich keine Ahnung hatte, was ich eigentlich wollte und den finanziellen, familiären und gesellschaftlichen Druck spürte, endlich einen anständigen Beruf ausüben zu müssen, stürzte ich in ein tiefes Loch der Ohnmacht und des Gefühls der Fremdbestimmung und Perspektivlosigkeit. Ich hatte mit meinem bisherigen Bildungsweg an diesem Punkt abgeschlossen und mir wurde klar, dass ich mein Lernen selbst in die Hand nehmen musste. 
Mit Hilfe dieser Erkenntnis absolvierte ich zwar ohne echtes inhaltliches, aber durch Existenzängste motiviertes Interesse meinen nur kurz bevorstehenden akademischen Abschluss und ging dann in ein sechsmonatiges Praktikum, bei dem ich gemeinsam mit drei weiteren Kollegen Kinder beim Spielen im Wald betreute. Diese Tätigkeit in der Natur mit begeisterten Kollegen und die Welt entdeckenden Kindern befreite mich vom Druck der vergangenen Jahre.

Die Geburt meiner Tochter in dieser Zeit meines inneren Umbruchs war mein größtes Glück, denn dieses Ereignis beschied mir nicht nur ein kleines Menschenkind, das durch seine totale Abhängigkeit von mir ein Gefühl von Lebensbejahung und Gebrauchtsein weckte, sondern auch eine Auszeit von jeglichen beruflichen Verpflichtungen, die es mir ermöglichte, in aller Ruhe echte eigene Interessen zu entwickeln. In dieser Zeit begann ich, in einem Chor zu singen, beendete meine naturpädagogische Ausbildung und knüpfte sehr wertvolle Beziehungen in meinem neuen Lebensumfeld. 

Ich gelangte außerdem zur intensiven Auseinandersetzung mit den Themen Erziehung und Bildung, denn ich wollte mir darüber klar werden, was meine eigentlichen Pflichten als Mutter sind und wie ich den Bedürfnissen meiner Tochter gerecht werden kann, ohne mich selbst dabei zu vergessen. 
Mich plagte zunehmend das Gefühl, irgendetwas falsch zu machen, denn meine Tochter war ab einem Alter von etwa 18 Monaten oft quengelig und schien von Tag zu Tag unzufriedener zu werden. Je mehr ich mich bemühte, sie glücklich zu machen und bei Laune zu halten, desto unglücklicher wurde sie. Es war ein schwerer und langer Weg, bis ich begriff, dass es nicht meine Aufgabe ist, für ein permanent fröhliches Kind zu sorgen und dass ich Phasen der Frustration und Unzufriedenheit nicht unweigerlich auf mich persönlich zu beziehen brauchte. 

In meiner Liebe zu meiner Tochter vergaß ich, mein Verhalten ihr gegenüber ihrem Entwicklungsstand anzupassen. Folglich hatte ich es versäumt, ihrem immer größer werdenden Freiheitsdrang Möglichkeiten zur Entfaltung zu bieten. Ich erkannte meinen Fehler und mir wurde die Wichtigkeit des Beobachtens und ungelenkten Spielens bewusst. Ich weiß nun, dass ständiges Eingreifen ins freie Spiel und das Steuern der Aufmerksamkeit die kindliche Eigeninitiative hemmen und das Lernen negativ beeinflussen und Kinder zu abhängigen Quälgeistern mutieren lässt. 

Meine Aufgaben als Mutter umfassen nach dieser einleuchtenden Erkenntnis für mich mehr als die Liebe zu meinen Kindern und die Sicherung der Grundbedürfnisse nach Nahrung und Sauberkeit. Kinder wollen in ihrem eigenen Tempo und nach eigenen Interessen neue Erfahrungen machen. Nur dann sind sie glücklich, etwas dazugelernt zu haben. Die Freudige Beachtung ihrer Fortschritte genügt ihnen als Wertschätzung ihrer Leistungen und es bedarf keinerlei materieller oder übermäßiger verbaler Belohnung. Respektvolle und liebevolle Grenzsetzung gehört in diesem Zusammenhang natürlich dazu, um die Sicherheit der Kinder zu gewähren. 

Da die geistigen Prozesse des Lernens altersunabhängig sind und sich auch nicht mit dem Schuleintritt plötzlich verändern, hätte ich mir zu meiner Zeit eine Schule gewünscht, in der ich eine vielfältig gestaltete Lernumgebung im und um das Gebäude herum gefunden hätte. Es wären Begegnungen mit echten Menschen und Berufen möglich gewesen, nicht nur mit belehrenden Pädagogen, die ihre eigene Persönlichkeit aus Furcht vor Autoritätsverlust verstecken. Lehrpläne und Zensuren wären überflüssig gewesen, denn ich hätte mich interessanten Themen, Materialien und Menschen freiwillig und begeistert zugewendet und so intensivere Lernerfahrungen gemacht, die Wissen langfristig erhalten und nicht gleich nach einer Überprüfung wieder vergessen lassen. 

Ich will meinen Kindern meine schulische Lernerfahrung in jedem Fall ersparen, und das nich nur, weil "sie es einmal besser haben sollen als ich" (diesen Satz würden wohl alle Eltern in irgendeinem Zusammenhang unterschreiben).  
Viel wichtiger scheint mir, meine Verantwortung meinen Kindern gegenüber nachzukommen, ihre Grundrechte im schulpflichtigen Alter zu sichern, wie das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, Gedankenfreiheit, Versammlungsfreiheit, das Recht auf Freizügigkeit, d.h. seinen Aufenthaltsort frei zu wählen. Dies kann mir nur gelingen, wenn ich für sie einen Lernort finde oder schaffe, der diesen Ansprüchen auch tatsächlich gerecht wird. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen